Eine Weihnachtsgeschichte


 

Die schneebedeckte Landschaft schien unendlich. Bei jedem Schritt knirschte der gefrorene Schnee unter seinen Füssen. Weiter … weiter .. weiter, hämmerte es in seinem Kopf.

Er wusste nicht, wie lange er schon unterwegs war, weiter … weiter …weiter. Der Mond war aufgegangen und der Frost lies jedes seiner Glieder schmerzen. Er dachte an seine kleine Familie zu Hause, seine Frau und die beiden Mädchen. Wenigstens hatten sie es warm in der kleinen Hütte am Waldrand. Den ganzen Sommer hatten sie Holz gesammelt, um nicht frieren zu müssen. Das wenige Geld, das er verdienen konnte reichte –wie jedes Jahr- nicht, um genug Essen für den Winter zu kaufen.

Der Hunger war  –wie jedes Jahr- ein ständiger Begleiter durch den Winter. Wie jedes Jahr hatten sie sich vor dem Heiligen Abend jeden Tag etwas Essen abgespart, um am Heiligen Abend für jeden eine ganze Kartoffel extra zu haben. Seine Frau hatte eine Zuckerrübe am Wegrand gefunden und davon Rübensirup gekocht und so gab es in diesem Jahr für jeden einen Löffel Sirup extra, -was für ein Luxus ! Weiter… weiter, hämmerte es in seinem Kopf! Die Glieder fast steif gefroren zwang er sich Schritt für Schritt vorwärts.

Alles wäre auch in diesem Jahr wie immer gewesen, wäre da nicht jenes Gerücht verbreitet worden: Gold in Amerika, die Flüsse sind voll davon, ihr müsst es nur holen ! Gold – er hatte davon gehört, aber er wusste, das gab es nur bei den sehr reichen Leuten. Nie hatte er Gold gesehen. Immer hatte er für ein paar Kreuzer gearbeitet und immer hatte er gehofft, dass es nur einmal reichen würde den Winter zu überstehen ohne hungrig ins Bett zu gehen und hungrig aufzustehen. Nie hatte seine Frau sich beklagt oder eines der Kinder auch nur ein Wort darüber verloren! Weiter… weiter…

Ab Hamburg sollten Schiffe nach Amerika fahren, - jede Woche! Die Überfahrt kostete mindestens 3 oder 5 Taler. Mehr Geld, als er in einem ganzen Sommer verdienen konnte… … aber es sollte möglich sein auf den großen Schiffen als Heizer die Überfahrt zu verdienen. Er wollte es versuchen. Endlich genug Geld haben, um den Hunger zu besiegen und für seine Familie genug Essen zu kaufen.

Kurz hatten ihn die Gedanken an seine Familie die Schmerzen vergessen lassen. Der eisige Wind, der gefrorene Schnee, die unbarmherzige Kälte, er spürte sie erneut. Wie lange er schon unterwegs war, - er wusste es nicht. Tage, oder Wochen, - er wusste es nicht. Seine Frau hatte im etwas Essen eingepackt, es war längst aufgebraucht. Der Hunger, der dann kam, - er spürte ihn längst nicht mehr. Nur die Schmerzen bei jedem Schritt, die Kälte und Erschöpfung, welche die Augen in einer übermächtigen Müdigkeit zufallen ließen, verlangten nach Schlaf, einem tödlichen Schlaf.

Weiter … weiter dachte er, deine Familie verlässt sich auf dich… weiter … weiter … nach Hamburg.

Noch nie hatte er diese Stadt gesehen. Nach Norden, nach Norden bis an das Meer. Er musste es schaffen… weiter… weiter, nur nicht stehen bleiben! Der Mond schien auf die weiße Landschaft und die Kälte verstärkte den Schmerz bei jedem Schritt. „Heilig ist die Nacht“, dachte er, aber er fand nichts Heiliges an dieser Nacht und ein schmerzliches Lächeln kam auf seine Lippen, das zu einem starren Grinsen gefror. „Heilig ist die Nacht“… weiter… weiter … weiter!         

Schritt für Schritt trieb er den schmerzenden Körper voran, nur begleitet vom eintönigen Knirschen des Schnees. „Heilig ist die Nacht…“ seine Augen waren geschlossen, nur sein unbändiger Wille ließ ihn Schritt für Schritt weitergehen. „Heilig ist die Nacht….“ Das jähe Krächzen einer Elster ließ ihn hochschrecken. Vorsichtig öffnete er etwas die Augen und da sah er in weiter Ferne jenen kleinen Lichtschein… das musste Hamburg sein, er hatte gehört, dass dort die Lichter die ganze Nacht brannten… was für eine Verschwendung, dachte er. Weiter…weiter… der Weg schien unendlich und die Stadt schien gar nicht näher zu kommen… weiter… weiter…

Endlich erreichte er ein kleines Gebäude am Rande der Stadt. Vorsichtig öffnete er das Tor. Es war ein Stall, in dem 4 Schafe standen. Eine wohlige Wärme ging von ihnen aus und er sank völlig erschöpft auf das Stroh. Wie in der Weihnachtsgeschichte dachte er noch. Der tiefe Schlaf erlöste seine Glieder vom Schmerz. Er träumte vom Gold, nur ein kleines Säckchen voll Gold sollte reichen, um nie wieder hungern zu müssen….

Ein eisiger Luftzug schreckte ihn hoch. Die Abendsonne schien durch das offene Tor. Dort stand eine junge Frau und ein kleines Mädchen. Er konnte sie nur schemenhaft im Gegenlicht der Sonne erkennen. „Er lebt, Mama, er lebt“ rief das kleine Mädchen. „Verzeihen Sie, verzeihen Sie mein Eindringen“, sagte er schnell, „es war ein langer schwerer Weg bis hierher, verzeihen Sie, bitte!“

Sie müssen hungrig sein, kommen sie mit uns ins Haus.“ Die sanfte, ruhige Stimme der jungen Frau beruhigte ihn.  Er folgte den Beiden und bald schon erreichten sie ein kleines Blockhaus, das ihn an sein eigenes erinnerte. „Wo kommst Du her, wo gehst Du hin und was machst Du hier?“ Neugierig fragte das Mädchen, während die junge Frau wiederholte: „Sie müssen hungrig sein, ich werde ihnen etwas zu Essen bringen.“ Er erzählte dem Mädchen von seinen beiden Mädchen, dass sie nicht genug zu essen hatten und er nach Amerika wollte, um Gold zu finden.

Die Frau stellte einen ganzen Korb Brot auf den Tisch und Wurst und Käse. „Ich kann das nicht bezahlen“, sagte der Mann abwehrend. „Essen Sie, soviel sie wollen, wir brauchen es nicht mehr, morgen fahren wir zum Hafen, um nach Amerika zu reisen.“ Vorsichtig nahm er eine Scheibe Brot aus dem Korb und begann langsam zu essen. „Nehmen Sie ruhig auch Wurst und Käse!“ Sie belegte damit seine Brotscheibe. Bedächtig und mit Genuss aß er. „Nehmen Sie ruhig.“ Sie reichte ihm den Brotkorb. „Es ist genug“ sagte er. „Aber wenn ich darf, würde ich gerne mit Ihnen zum Hafen fahren.

Die Überfahrt ist teuer, wie wollen Sie das bezahlen?“ fragte sie. „Ich werde mich als Heizer anbieten, und so die Überfahrt verdienen! Warum wollen Sie nach Amerika, es scheint Ihnen doch gut zu gehen?“ Langsam und erst stockend erzählte sie: „Es war vor etwa 3 Jahren, wir hatten kaum etwas zu essen, als mein Mann sagte: -Es ist ungerecht, der König und die Adligen feiern jeden Tag rauschende Feste, während das Volk hungert!- die Soldaten holten ihn ab und er wurde wegen Majestätsbeleidigung verurteilt und auf Lebzeiten des Landes verwiesen. Ich war damals hochschwanger.  Man brachte ihn mit den Schwerverbrechern auf ein Schiff nach Amerika. In der Stadt, in die sie ihn brachten gab es Mord und Todschlag und mein Mann beschloss in die Berge zu gehen. Er fand ein Tal, das von einem Fluss durchquert wurde. Dort wollte er für uns ein Blockhaus bauen. Er wollte

Fische in der Stadt verkaufen, um für uns die Überfahrt zu verdienen. Als er zum Fischen an den Fluss ging, sah er diese gelben glitzernden Steinchen. Er sammelte ein Säckchen voll davon, nahm sie mit in die Stadt und erfuhr, dass er Gold gefunden hatte. Man gab ihm ein kleines Vermögen für die Steine. Bald schon kamen viele Leute aus der Stadt, um dort Gold zu suchen, aber nur wenige fanden Gold. Die anderen starben an Hunger oder wurden für ein bisschen Gold ermordet. Da ging mein Mann fort und kaufte sich eine Ranch. Er brachte Essen in die Camps der Goldsucher und nahm das gefundene Gold mit zur Bank. Sehr schnell verdiente er sehr viel Geld, jeden Monat schickte er uns Geld zum Leben und jetzt das Geld für die Überfahrt.“ Das Mädchen sagte stolz: „Und ich werde dann meinen Papa sehen! Und er wird mir viele schöne Geschichten erzählen.“         

Nachdenklich hatte er zugehört. „Auch ich möchte nach Amerika, um Geld zu verdienen, damit meine Familie nicht hungern muss“, sagte er. Sie antwortete: „Sie scheinen keine Arbeit zu scheuen, wenn sie wollen, werde ich mit meinem Mann sprechen, er sucht immer gute Leute, die sich nicht vom Glanz des Goldes verführen lassen. Aber nun, lass uns schlafen gehen, es wird morgen ein anstrengender Tag.“


 

Im Hafen stand ein Tisch vor dem großen Schiff. Dort saß ein Mann, der rief: „Nur noch wenige Plätze, schon für 3 Taler, ergreifen Sie ihr Glück! Ein Land in dem das Gold in den Füssen liegt, sie müssen es nur einsammeln, nur 3 Taler!“ Er ging an den Tisch, der Mann sah ihn an: „3 Taler in der 3. Klasse, 5 Taler in der 2. Klasse und 15 Taler in der 1. Klasse!“ Er antwortete: „ Ich wollte mich als Heizer bewerben für die Überfahrt“. Der Mann lachte: „Als Heizer! Das wollen viele, wenn sie da sind gehen sie von Bord und ich kann auf der Rückfahrt selbst die Kohlen schippen, wir brauchen ZAHLENDE Gäste, ZAHLENDE!“ Entmutigt trat er zur Seite und die Frau mit dem Mädchen sagte zu dem Mann: „2 mal erster Klasse bitte“.Das macht 30 Taler“ sprach er. „Ich gebe Ihnen 25 Taler für mich und meine Tochter!“ erwiderte Sie. „Na gut.“ Sagte er mürrisch, „gehen Sie an Bord“. „und hier sind 3 Taler für meine Begleitung!“ Sie zeigte auf Ihn. „Dafür erwarte ich, dass sie auf meine Tochter achtgeben.“ „…und mir jeden Tag eine Geschichte erzählen…“ fügte das Mädchen hinzu.

Überglücklich nahm er das Gepäck der Beiden. „Sie können sich auf mich verlassen und ich werde ihnen das Geld zurückzahlen!“

Als am Abend das Schiff den Hafen verließ, stand er an der Reling, sah in die Ferne und dachte an seine Familie zu Hause, dann legte er sich auf sein Nachtlager, es war Heilig Abend und ein Lächeln war auf seinen Lippen, als er dankbar einschlief und dachte: „Heilig ist die Nacht!“ und noch nie war ihm der Sinn dieser Worte so wunderbar begegnet.