Die traurige Tanne


Wie jedes Jahr zur Weihnachtszeit strömten die Dorfbewohner zur Tannenschonung am Waldrand um ihren Tannenbaum zu holen.


Die jungen Tannen waren schon ganz gespannt, welche von ihnen wohl, als wunderschön geschmückter Weihnachtsbaum, in den Wohnzimmern der Dorfbewohner zu bewundern waren.


Außerhalb der Schonung stand eine einzelne Tanne. Wie sie dorthin gekommen war, -sie wusste es nicht. Der Nordwind hatte ihr zugesetzt, weshalb sie nicht so wachsen konnte, wie die Tannen in der windgeschützten Schonung. Sie war deutlich kleiner, als die anderen Tannen. Besonders die Zweige der Nordseite waren weniger gewachsen, was ihre Form nicht so gleichmäßig und rund erscheinen ließ. Nein, eine Schönheit war sie nicht.


Alle liefen an ihr vorbei und suchten sich eine schön gewachsene Tanne aus der Schonung aus. „Die ist schön, das wird unser Weihnachtsbaum“ hörte sie immer wieder. Sie rief, so laut sie konnte: „Nimm mich, ich möchte auch ein schön geschmückter Weihnachtsbaum sein!“


Aber niemand konnte sie hören, alle liefen achtlos an ihr vorbei. So kam es, wie schon in den Jahren davor, dass die kleine Tanne unbeachtet zurückblieb. Das hatte sie immer trauriger gemacht. Längst hatte sie die Hoffnung verloren und ihre Zweige hingen kraftlos nach unten.


In dem Dorf lebte ein Künstler. Er hatte zur Weihnachtszeit viel zu tun. Kugeln bemalen, Sterne und Krippenfiguren verzieren und Geschenkverpackungen gestalten. So kam es, dass Weihnachten vor der Türe stand und er hatte gar keine Zeit gefunden einen Tannenbaum zu besorgen.
„Jetzt wird es aber Zeit“, dachte er und ging hinaus zur Tannenschonung. Er rieb sich die Augen: Kein einziger Tannenbaum war mehr da, nur die kleine etwas einseitig gewachsene Tanne vor der Schonung.

 „So ganz ohne Weihnachtsbaum, das geht gar nicht“, dachte er. „Wenn ich die kleine Tanne ausgrabe und in einen Blumentopf stelle, dann stimmt wenigstens die Größe“.
Er nahm den Spaten, umhüllte den alten Blumentopf mit Glanzpapier und pflanzte die Tanne hinein. „Jetzt aber ab nach Hause, der Baum muss ja noch geschmückt werden“!


Er konnte die Tanne drehen, wie er wollte, immer sah man die einseitig schlecht und ungleichmäßig gewachsene Seite.

 Er war Künstler, wenn er keine Idee hatte den Baum zu gestalten, wer sollte Ihm helfen? 

In seiner Werkstatt fand er ein großes Stück Pappe, -„wenn ich daraus einen Engel schneide, ihn schön bemale…“, die Idee war geboren und er machte sich an die Arbeit.

Der Engel war fast so groß wie die Tanne, er stellte ihn so an den Baum, dass er die weniger gut gewachsene Seite verdeckte. Es sah fast so aus, als würde der Weihnachtengel selbst den Baum bringen. Jetzt noch seine schönsten Kugeln, etwas Engelhaar, dann die Kerzen… fertig!


Im Dorf war es Brauch, dass am 1. Weihnachtstag der Bürgermeister, der Pfarrer und der Lehrer von Haus zu Haus gingen, um den schönsten Weihnachtsbaum mit einem leuchtenden Stern zu prämieren.

 Er wohnte etwas außerhalb des Dorfes, weshalb er als letztes Haus besucht wurde.

Erst gab es in der Küche heißen Kakao und Plätzchen für die Gäste, dann ging es in die „Gute Stube“.

„Boah, sieht der gut aus“, sagte der Bürgermeister. „Das ist mit Abstand der schönste Baum im Dorf“, erwiderte der Lehrer. Der Pfarrer sagte nichts sondern nickte nur beeindruckt von dem Glanz.

 Voll Stolz hörte es die kleine Tanne, streckte ihre Zweige und sogar die Spitze stand ganz aufrecht.

„Ich glaube, wir sind uns da einig, dieser Weihnachtsbaum hat in diesem Jahr den Stern verdient!“ sprach der Bürgermeister und befestigte den leuchtenden Stern auf der Spitze des Baumes. Wie stolz die kleine Tanne da war…..


Nach den Weihnachtstagen brachte der Künstler die kleine Tanne zurück und pflanzte sie an der gleichen Stelle wieder ein. 

Die Jahre vergingen und wenn die Tannen in der Schonung wetteiferten, wie viele von ihnen wohl als Tannenbaum in die Wohnzimmer kämen, streckte der kleine Tannenbaum, der inzwischen schon sehr groß geworden war, wohlig seine Zweige in die Höhe und dachte daran, dass er einmal der schönste Tannenbaum im Dorf war.


Wenn dann seine Tannenzapfen zur Erde fielen und aus den Samen neue Tannen entstanden, erzählte er ihnen diese Geschichte und alle wussten, dass sie aus den Samen des „Schönsten Weihnachtsbaumes“ gewachsen waren.
Das sollte doch Grund genug sein, dass aus ihnen wundervolle Weihnachtsbäume würden.


Frohe Weihnachten